Der Begriff Puppentheater (ital.: teatro d’animazione) bezeichnet alle Arten von Live-Aufführungen, bei denen Objekte und Figuren verwendet werden, die während der Vorführung künstlich bewegt werden, d.h. wo eine Nachahmung der lebendigen Bewegung durchgeführt wird. Bewegen bedeutet Leben schenken. Das Puppentheater ist vor allem Theater. Jedes Genre hat eine eigene Geschichte, eigene Regeln und somit eine eigene Sprache. Darüber hinaus gibt es, da von Kulturen und nicht von Ländern gesprochen wird, in Italien verschiedene Traditionen von Handpuppen (zum Beispiel aus Neapel, der Region Emilia, aus Bergamo) sowie drei Typologien von Marionetten (aus Neapel, Palermo und Catania).
Das Puppentheater in der Antike Handpuppen und Marionetten finden sich schon in der Antike, lange vor der Entstehung des Theaters mit leibhaftigen Schauspielern. Ihr Ursprung sowie ihre Funktion sind religiöser Natur, sie wurden in den Tempeln verwendet, um die Mythen nachzuerzählen und in diesem Fall stellten die Marionetten Götter, Halbgötter sowie Menschen dar. Die ältesten uns überlieferten Funde gehen auf das siebte und achte Jahrhundert vor Christus zurück und stammen aus Griechenland. Die Notwendigkeit, Objekte zur Verfügung zu haben, die den Glauben bestätigen, führt dazu, dass die Götterstatuen zu Marionetten werden, mit Fäden und Gliedmaßen, um den Glaubensvorgang sichtbar und nachvollziehbar werden zu lassen. Der Gott bewohnt die Statue und bewegt sie. Oft werden diese Figuren in Fruchtbarkeitsriten verwendet. Erodo überliefert uns diesen Brauch in Ägypten, insbesondere der außergewöhnlichen Dädalusstatuen, welche menschlichen Wesen so ähnlich sind; bei ihnen kann von Vorgängern der Marionetten gesprochen werden. Der Marionettenspieler ist schon zu Lebzeiten von Senofonte, der das Marionettentheater in seinem Simposio erwähnt, ein richtiger Beruf. Sowohl in der griechischen als auch in der römischen Literatur finden sich Zitate, die sich einzig auf Statuen oder kleine Steinfiguren beziehen, die durch Fäden bewegt werden – Vorläufer der Marionetten, die nicht nur ihre Arme, sondern auch Beine, Hals, Augen und sogar Finger bewegen konnten. Es ist bewiesen, dass Plato das Puppentheater kannte und es wird angenommen, dass diese Unterhaltungsform sehr verbreitet und beliebt war.
Das Puppen- und Marionettentheater im Mittelalter Wenn, wie oben bereits erwähnt, in der Antike das Vorhandensein von Handpuppen und Marionetten durch Funde und Zitate belegt ist, so stehen für die Zeit des Mittelalters fast gar keine Informationen zur Verfügung. Das Puppen- und Marionettentheater kann in den weiteren Bereich der Straßenkünstler eingegliedert werden: Jongleure, Bänkelsänger, Gaukler, Mimen, Tierbändiger und andere Künstler. Leider sind die einzigen zwei Zeugnisse, die uns von Puppentheater-Aufführungen überliefert sind, Miniaturen aus dem dreizehnten Jahrhundert, die in der Bodleian Library in Oxford aufbewahrt werden; sie schmücken das Werk von Jean de Grise, Li romans du bon roi Alexandre. Das Theater selber wird in diesen Zeichnungen an den Rändern von zwei kleinen Türmen geschmückt; diese sollen jedoch nicht nur dekorativ sein, sondern grenzen gleichzeitig die Bühne ein. Auf sie geht vermutlich der Begriff castello (ital.: Schloss) zurück, der auch heute noch in den romanischen Sprachen den Aufbau bezeichnet, auf dem sich das Puppentheater befindet (franz.: castellet und span.: castello). Der Begriff burattino (ital.: Handpuppe) mit seiner heutigen Bedeutung ist erst 1652 zum ersten Mal belegt, als die Abhandlung Della Christiana moderazione del teatro von Domenico Ottonelli veröffentlicht wurde.
Die Heiligenspiele Seit Ende des zehnten Jahrhunderts werden in den Kirchen Heiligenspiele aufgeführt; dies sind Vorführungen, bei denen Geschichten aus der Bibel und dem Leben der Heiligen dargestellt werden. Organisiert werden sie von den Zünften. An diesen Vorführungen nimmt die gesamte Bevölkerung teil; alle helfen bei der Erarbeitung und Umsetzung der „religiösen Theaterstücke“ mit. Das Ziel der Heiligenspiele ist es, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu der religiösen Einrichtung (also der katholischen Kirche) zu erzeugen, wobei jedoch die Autonomie des Einzelnen gewahrt bleibt – auch die Verbreitung der Heiligen Schrift und des Lebens der Heiligen spielte hierbei natürlich eine wichtige Rolle. In den Geschichten aus dem Leben der Heiligen beginnen darüber hinaus negative Figuren ihren Einzug zu halten, als Gegenpart zu den positiven Religionsfiguren: Teufel, Geister, Tote, Fantasietiere und so weiter, die später komische Züge annehmen werden.
Das Marienfest und die Entstehung des Begriffs Marionette Der am meisten akzeptierte Ursprung des Begriffs Marionette geht auf das Mittelalter und auf eine wahre Begebenheit zurück. Im Jahre 944, während zwölf hübsche Mädchen in Venedig auf dem Weg zur Kirche Santa Maria della Salute waren, um dort ihre Hochzeit zu feiern, fielen arabische Piraten in die Stadt ein und entführten die Bräute. Die venezianischen Jugendlichen reagierten sofort und folgten den Piraten an Bord zahlreicher Schiffe – sie holten sie bald ein und konnten die entführten Mädchen befreien. Zum Andenken an dieses Ereignis wurde in der Stadt das Marienfest eingeführt; zu diesem Anlass wurde auf Kosten der Gemeinschaft zwölf armen (aber ehrbaren) Mädchen die Mitgift gestellt, um ihnen damit eine Hochzeit aus ihrer eigenen Schicht heraus zu ermöglichen. Dieses Fest wurde jedoch für die Staatskasse der Republik Venedig immer unhaltbarer und auch die Auswahl der Mädchen führte im Laufe der Zeit häufig zu Tumulten und hitzigen Diskussionen. Die Anzahl wurde erst auf vier, dann auf drei Mädchen beschränkt und schließlich wurden diese durch mechanische Holzfiguren ersetzt, die bewegbare Gliedmaße hatten; sie wurden “Marione” (große Marien) genannt und jedes Jahr in einer Prozession durch die Stadt getragen. Anlässlich dieses Festes wurden kleine Kopien der “Marionen” angefertigt, die an Ständen verkauft wurden: auf diese kleinen Nachbildungen der "Marionen" geht der Name "Marionette" zurück, kleine (ital.: "-etta") "Marionen".
Zwischen Mittelalter und Commedia dell’Arte Während der Übergangszeit vom Mittelalter hin zur Entstehung der Commedia dell’Arte (italienische Stehgreifkomödie, deren Typen und Masken feststanden und die einer festgelegten Dramaturgie folgten. Anm. d. Ü.), für welche die Geschichtsschreibung nur schwer Anhaltspunkte findet, entwickelt das Schauspiel schon die Grundlagen für dieses große Ereignis, welches die Commedia dell'Arte sein wird. Die mittelalterliche Gesellschaft ist auf niedrigster Ebene durch eine Bevölkerung geprägt, die dem Land sowie ihrer Herkunft nur wenig verbunden sind, da damals sämtlicher Boden dem Grundbesitzer, ihrem Herrn, gehörte. Dies führte zu großen Migrationsbewegungen: um leben zu können, musste man sich fortbewegen. Diese wandernde Menschenmasse bestand aus Landstreichern, Schaustellern, Pilgern, die oft in Gruppen unterwegs waren. Zwischen der Jahrtausendwende und dem Ende des Mittelalters entwickelte sich eine große Welle an Spiritualität. In dieser Zeit entstehen Gruppen aus Häretikern, Spielmännern, Theaterspielern, Possenreißern, Märchenerzählern. Die Puppenspieler werden oft mit der Kategorie der Scharlatane (wie sie damals genannt wurden) in Verbindung gebracht und werden später, während des Rinascimento und der Reformation, auf gleiche Art und Weise unterdrückt. Es sind der spätmittelalterliche Platz und Markt, auf dem sich diese Künstler von Bettlern und Bittstellern zu unterscheiden wissen. Die Schauspiele auf dem Marktplatz werden baggatelle genannt, ein Begriff, der damals die Vorführungen von Puppenspielern, Jongleuren, Zauberkünstlern sowie in Allgemeinen von Schaustellern bezeichnete, die ihre Hände einsetzten, um das Publikum zu "verzaubern". Die Verwendung der Maske, in der Vergangenheit nur während des Karnevals eingesetzt, setzt sich durch und ist das ganze Jahr über an den Ständen der Komiker zu finden. Es ist der Triumph des Theaters, des schauspielerischen Erzählens, wo die Objektivität der Maske keinen Raum für Subjektivität lässt. Der Schauspieler stellt eine Kategorie an Figuren dar. Dies wird die Entwicklung der Commedia dell’Arte sowie die Vervielfältigung der Charaktere begünstigen, von denen ein jeder für einen bestimmten Teil der gesamten Gesellschaft steht. Der Adel, der Klerus sowie die Aristokraten verspüren in dieser Zeit das Bedürfnis, eine eigene kulturelle Einrichtung zu gründen; so entstehen die Akademien, die darauf ausgerichtet sind, eine Kultur hervorzubringen, die den Bedürfnissen der hohen Schichten entspricht. Es ist die Entstehung der Akademien, welche die Unterteilung in "hohe" und "niedere" Kultur hervorruft, die teilweise durch die französische Revolution wieder etwas beseitigt wird. Aus der bunten Welt der Wanderschauspieler sind die Marionettenspieler die Einzigen, die in die Akademien aufgenommen werden; dies hält sie jedoch nicht davon ab, ihren Tätigkeiten auch außerhalb dieses Bereichs weiterhin nachzugehen. Die Forschungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass eine beachtliche Anzahl an Marionetten auf Plätzen und Strassen zu finden sind, auch wenn sie, als Schauspieltruppen, in die Paläste eingeladen werden.
Die Commedia dell’Arte Die Commedia dell’Arte entsteht in der Republik Venedig, wo es möglich ist, weltliche Stücke aufzuführen, ohne die Verbote der Kirche fürchten zu müssen; die Commedia dell’Arte entwickelt sich offiziell in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts. Das Dokument, was seine Entstehung belegt, stammt aus dem Jahr 1545, als eine Gruppe von Schauspielern mithilfe eines Notars einen Vertrag unterschreibt, indem sie sich verpflichten, für einen bestimmten Zeitraum miteinander zu arbeiten. Angesichts der Schwierigkeiten, denen sie in Italien (der Wiege der Commedia dell’Arte) oftmals ausgesetzt waren, entschieden sich die Künstler oftmals, ins Ausland abzuwandern und sich in allen Ecken Europas niederzulassen. Zwischen der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts und den ersten Jahrzehnten des siebzehnten Jahrhunderts wird die Commedia dell’Arte in allen europäischen Ländern bekannt und zieht die Aufmerksamkeit aller sozialen Schichten auf sich. Die Masken, feststehende Figuren mit übertriebenen Charakterzügen, entsprechen den verschiedenen gesellschaftlichen Schichten mit Ausnahme der herrschenden Klasen: dem Adel und dem Klerus. Arlecchino stellt die unterste Schicht der Bevölkerung dar und hat die Rolle des Dieners inne; Brighella, sein Komplize, hat eine etwas höhere Stellung (Butler, Koch, Wirt, usw.); der Dottore verkörpert meistens den gebildeten Juristen, Doktor oder Gelehrten; der Capitano (Hauptmann) stellt die Klasse der Militärs dar; Pantalone ist der alte, geizige und lüsterne Kaufmann; Tartaglia, Anwalt oder Notar, wird durch sein Stottern charakterisiert, von dem manchmal angenommen wird, es wäre vorgeschoben, um ihm die Möglichkeit zu geben, schnell zu überlegen, wie er seinen Nächsten betrügen oder überlisten kann. 1609 tritt im Theater von San Giorgio de’ Genovesi in Neapel zum ersten Mal die Maske von Pulcinella auf, gespielt von dem Hauptmann Silvio Fiorillo; später wird sie durch Andrea Calcese zu einem wahren Publikumsliebling. Der Verbreitung der Schauspieltruppen der Commedia dell’Arte entspricht auch die Verbreitung der Gruppen von Puppen- und Marionettenspielern, die wir sehr bald überall in Europa finden. Seit der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts beginnt das Puppen- und Marionettentheater in Italien als “tout court Spektakel” (höfisches Schauspiel) bekannt zu werden und nicht mehr nur als Straßenkunst abgetan zu werden. Seit Ende des achtzehnten Jahrhunderts überwiegt das musikalische Repertoire in dieser Art von Schauspiel; dies ist auch die Zeit, in der die zweite große und wichtige Neuerung eingeführt wird, welche die Entwicklung und Geschichte des Schauspiels im achtzehnten Jahrhundert prägt: das Melodrama. Dieses musikalische Genre nimmt auch das Marionettentheater in sich auf, welches sich gut für die Szenenwechsel, das ausgefallene Bühnenbild und sämtliche Mechanismen eignet, die für das Barocktheater charakteristisch werden sollen. Venedig wird zur Hauptstadt des Schauspiels. Die Entstehung zahlreicher öffentlicher Theater begünstigt die Bildung einer völlig neuen, kulturellen Umgebung, mit weniger Zensur und mehr Freiheiten als in anderem Städten. Wir wissen von mehreren Theatern, in denen Stücke für Marionetten aufgeführt wurden, so zum Beispiel in Rom. Es handelt sich hauptsächlich um Theater in privaten Häusern, in welche die Künstler von den Hausherren geladen wurden, die dann mit Familie und Freunden den Aufführungen zuschauten. Der große Erfolg der Marionetten im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert trägt somit aktiv zur Entwicklung und Verbreitung des Barocktheaters bei.
Die Italiener im Ausland Puppen- und Marionettenspieler wurden von der Obrigkeit oftmals mit Bettlern auf eine Stufe gestellt und dieses Vorurteil erschwerte es ihnen, Genehmigungen für ihre Vorführungen zu erhalten; wenn man dazu noch die Angst der Kirche addiert, dass diese spontanen Zusammenkünfte zu Faulheit führen und die Aufmerksamkeit von göttlichen Geboten ablenken könnten, ist schnell der Grund gefunden, dass unsere Künstler auf dem ganzen Kontinent verteilt sind – dort hatten sie mehr Freiheit, ihrem Beruf ungehindert nachzugehen. Puppenspieler finden sich so in Spanien, England, Frankreich, aber auch in Deutschland, Russland sowie den skandinavischen Ländern. Überall dort verbreiten sich die für unser Land typischen Masken, diese werden von den lokalen Schauspielern an die lokalen Bräuche angepasst und weiterentwickelt.
Die Krise der Commedia dell’Arte In der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts durchlebt die Commedia dell’Arte eine Krise und es beginnt eine wahre Reform, die von Carlo Goldoni durchgeführt wird; um die Gründe für diesen Niedergang zu verstehen, muss die Entwicklung aufgezeigt werden, wobei der italienische Raum von dem französischen Raum getrennt werden muss. In Italien entstehen im Laufe der Reformation die Akademien als Gegenstück zur Commedia dell’Arte. In Frankreich beginnt der große Erfolg der italienischen Komiker seit 1570 - und zwar mit solchen Ausmaßen, dass Paris zur wahren Hauptstadt der Commedia dell’Arte wird. Im Anschluss daran entwickeln sich dramaturgische Neuerungen zu neuen Regeln, welche die italienischen Schauspieltruppen in eine Krise stürzen. In Italien sind die Masken der Commedia dell’Arte weit vor Ankunft Napoleons überholt. Dies ist ein langsamer Vorgang, und die Jakobiner Edikte besiegeln definitiv, was schon seit geraumer Zeit praktiziert wird. Wir können von einer Beständigkeit der Commedia dell’Arte und nicht von einem Ende reden, da sich immer mehr ein Mundarttheater entwickelt, welches schon im siebzehnten Jahrhundert viele Anhänger und Autoren findet und schließlich mit Carlo Goldoni endgültig seinen Höhepunkt erreicht. Die Elemente der Commedia dell’Arte bleiben erhalten und stellen zweifellos ein zum Großteil noch unerforschtes Erbe in unserer kulturellen Geschichte sowie einen überaus wichtigen Verbindungsring zwischen den Ursprüngen unseres Theaters und der Gegenwart dar.
Handpuppen und Marionetten im achtzehnten Jahrhundert Der Übergang von der Verwendung der Maske der Commedia dell’Arte hin zur neuen Maske geschieht auf direkte Art: es bleibt oft Brighella als erster “Zanni” (die Gruppe der Zanni stellt die unterste Bevölkerungsschicht, also Diener und Mägde, dar. Sie symbolisieren das einfache Volk, ihre Wünsche und Kritik an der Gesellschaft; Anm. d. Ü.) erhalten: er, der immer schon als Protoschauspieler seine Kunst mit dem Verkauf von Produkten, die oft als wundersame Heilmittel angeboten werden, in Verbindung brachte und versucht, das Publikum auf dem Markt für sich einzunehmen; während Arlecchino von einer lokalen Maske abgelöst wird. Diese Veränderung geschieht in den Puppenspielertruppen sehr plötzlich, während sie sich in einigen Marionettenensembles langsamer vollzieht. Im achtzehnten Jahrhundert beginnt sich im Marionettentheater bereits das Konzept der “Abendveranstaltung” durchzusetzen, d.h. eine Vorführung für Adelige und Publikum, welches dafür bezahlen konnte. Eine Abendveranstaltung besteht aus: Komödie, Tänzen, komischen und musikalischen Einlagen, Mutproben und Schluss-Posse. Im Puppentheater ist das akustische Element wichtiger als das visuelle; es werden hauptsächlich scharfsinnige Reden, basierend auf den volkstümlichen Geschichten, die direkt mit der Commedia dell’Arte in Verbindung stehen, in Szene gesetzt. Dies ist ein Theater, dass hauptsächlich auf dem Wort basiert und ist folglich der Gefahr der Zensur mehr ausgesetzt ist, da es Ideen verbreitet und aus diesem Grund Schwierigkeiten hervorrufen kann. Das Puppentheater besteht im Gegensatz zu dem Marionettentheater aus einer größeren Anzahl an Schauspielertruppen, es gibt eine engmaschigere Verteilung, in der das Schauspiel unter freiem Himmel im Gegensatz zu dem im Theater mehr betrieben wird; dort beginnen die Puppenspieler erst im neunzehnten Jahrhundert zu arbeiten. Ende des achtzehnten Jahrhundert verbietet Napoleon die Masken der Commedia dell’Arte und alles, was mit dem “ancien régime” in Verbindung gebracht werden kann. Es entstehen daher neue Masken ohne Masken, Figuren, die bestimmte Gesellschaftsschichten genauso gut darstellen, wie vorher ihre Vorläufer. Diese neuen Charaktere werden eine regionale Wertigkeit besitzen, oder besser gesagt, sie werden sich innerhalb ganz bestimmter Sprachgebiete verbreiten. In Bologna erscheint Fagiolino, im Herzogtum von Modena führt Luigi Campogalliani Sandrone ein, in Rom bilden sich die Figuren Rugantino und Cassandrino heraus. Ende des achtzehnten Jahrhundert entsteht in Genua durch die Hand der zwei Puppenspieler Sales und Bellone die Figur Gerolamo; später ziehen die beiden Meister nach Caglianetto in der Region Piemont um, wo ihre Figur den Namen Gianduia erhält.
Das Marionetten- und Puppentheater in napoleonischer Zeit Die napoleonische Invasion und anschließende Wiedervereinigung von Italien unter der Herrschaft des französischen Kaisers stellen einen kurzen, aber äußerst wichtigen Abschnitt in der Geschichte unseres Landes dar. Die wirtschaftliche und politische Ordnung wird von der Erneuerungskraft der Ideen der Aufklärung erfasst, die mit der Revolution einher gehen. Auch das Theater erfährt eine radikale Transformation, die nicht nur die “normalen” Schauspieltruppen erfasst, sondern auch die der Puppen- und Marionettenspieler. Die Wiedervereinigung führt vor allem zur Abschaffung der politischen Grenzen und begünstigt daher eine größere Beweglichkeit der Theatergruppen durch das neue Kaiserreich. Mit Napoleon hingegen wird auch die Zensur des Theaters geboren. Wenn dies einerseits eine Einschränkung der Handlungsfreiheit der Schauspieltruppen darstellt, begünstigt es doch andererseits die Überlieferung von Informationen über diese; dies ermöglicht uns, ihre Bewegungen nachzuvollziehen und einen zeitlichen Ablauf festzulegen, der aus den Archiven der Präfekturen hervorgeht – diese halten von diesem Moment an immer ein Auge auf die Bewegungen dieser Künstler. Das Schauspiel und die Unterhaltung werden im Allgemeinen verwendet, um die Ideale der Revolution zu verbreiten, im Gegensatz zu den Beschränkungen, die bis dahin in Bezug auf das Volk gegolten hatten: dieses hat, vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte, die Illusion, die wahre politische Hauptfigur zu sein. Der Puppenspieler ist so der Spiegel des eigenen Publikums, dessen Geschmäcker, Verhaltensweisen, Sprache und Wünsche er darstellt. Die Theatergruppen, die früher daran gewöhnt waren, lange Wanderungen durch Italien und Europa zu unternehmen, verwenden neue Masken und werden sesshafter; dies hat zur Folge, dass sie mehrere Stücke in ihrem Repertoire haben müssen, um dem Publikum jeden Tag neue Vorführungen bieten zu können. Es entstehen auf diese Weise eine Reihe von Techniken zur Anpassung von den beliebtesten und berühmtesten Theaterstücken an das Puppen- und Marionettentheater. Es wird hierbei hauptsächlich auf Prosa und das Melodrama zurückgegriffen, aber auch die Literatur wird zum Vorbild genommen: Romane, Erzählungen und Geschichten aus dem Volksmund. Diese Erweiterung des Repertoires wird auch nach dem Ende der napoleonischen Herschafft fortgesetzt; es wird nunmehr auf Geschichten aus dem Leben der Heiligen sowie dem Alten und Neuen Testament zurückgegriffen. Für die Puppentheater-Ensembles bedeutete dies, mindestens dreißig Puppen zur Verfügung zu haben, um 100 bis 150 verschiedene Stücke spielen zu können; ganz anders sieht es bei den Marionettenspielern aus, die entsprechende Bühnenbilder und Kostüme für jedes einzelne Stück sowie eine breit gefächerte Zubehörsammlung verfügen mussten. Dies hat zur Folge, dass die Puppenspieler (welche in der Regel zu zweit arbeiten) ihre Vorführungen auch in kleinen Dörfern und Städten abhalten können, die Marionettenspieler hingegen dazu nicht in der Lage sind: die hohen Unterhaltungskosten ihrer Truppe zwingt sie dazu, in größeren Städten aufzutreten, wo sie oft auch auf ein Theater zurückgreifen können. So entsteht eine strukturelle Trennung von Handpuppen und Marionetten. Erstere sind auf dem Land weiter verbreitet, Letztere hauptsächlich in Städten zu finden. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die napoleonische Invasion die Grundlagen für eine komplette Erneuerung des italienischen Theaters gelegt hat, wobei vor keinem Genre haltgemacht wurde: was das puppen- und Marionettentheater betrifft, stellt dieser Zeitraum den Beginn einer neuen Ära dar, welche mit der Wiedervereinigung fortgesetzt werden wird.
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